Ein Paar dehnt sich nach dem Laufen, dehnen ist gut
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Die besten Übungen
Dehnen vor und nach dem Laufen – so geht‘s

| Text: Tom Rottenberg | Fotos: Adobe Stock

Sollte man sich vor oder nach dem Laufen dehnen? Und was sind die besten Übungen. Hier liest du alles über Vor- und Nachteile des Dehnens und welche Übungen die besten sind.

Dehnen oder nicht dehnen – kaum ein Thema wird von Läuferinnen und Läufern, aber auch der Sportwissenschaft, kontroverser diskutiert. Soll man? Soll man nicht? Und falls ja: Vorher oder nachher – oder sogar zwischendurch? Unmittelbar danach oder nach einer Pause. Oder gar als eigene Dehn-Einheit? Für die Einen gehört Dehnen zu jeder Laufeinheit, andere nennen es Zeitverschwendung: Wer hat also recht?

Die Sache ist leider nicht ganz so einfach: Eine für alle gleiche Antwort gibt es hier nämlich nicht. Zum einen, weil Menschen – ihre Muskulatur, ihr Körper, der Umgang mit Belastungen – unterschiedlich sind. So unterschiedlich, dass eindeutige, klare Ja-Nein-Antworten oft nur eines wären: unseriös.

Deshalb tut sich auch die Wissenschaft schwer: Studien, die belegen, dass der Körper Dehnen braucht, gibt es nämlich nicht. Dennoch gehört das – meist abschließende – Dehnen zum geführten Lauftraining, bei Kursen, im Fitnesscenter oder am Sportplatz im Verein so gut wie immer dazu.

Warum? Weil man mit korrekt ausgeführtem Dehnen kaum etwas falsch machen kann: Die Intensität bestimmst du beim Dehnen ja selbst – und „Gefahr“ in einen ehrgeizigen Dehn-Wettkampf zu geraten, besteht kaum.

Verspannungen entgegenarbeiten

Und auch wenn der Nutzen des Stretchings wissenschaftlich nicht erwiesen ist, ist eines sehr wohl belegt. Medizinisch, sportwissenschaftlich aber auch durch die Erfahrung jeder Läuferin und jedes Läufers: Immer gleiche, monotone Bewegungsabläufe führen irgendwann zu Muskelverspannungen. Zu Muskelverkürzungen. Zum Gefühl, dass das System aus dem Lot ist. „Muskuläre Dysbalancen“ heißt das in der Sprache der Wissenschaft. Und regelmäßiges Laufen ist so ein immer gleicher Bewegungsablauf: Es trainiert die Skelletmuskulatur, belastet sie aber auch. Und dann zwackt es manchmal.

Und was tut man, dann? Genau: Man arbeitet dem Ziehen, der Verspannung entgegen. Wissenschaftlich belegt oder nicht? „Was wirkt, das gilt“ lautet die Devise – zurecht. Darum jubeln deine Muskeln, Sehnen und Gelenke nach einer guten Stretching-Einheit. Fühlen sich besser, geschmeidiger, beweglicher und belastbarer – und du mit ihnen.

Die Vorteile des Dehnens

Das „wieso“ lässt sich in zehn einfachen Punkten zusammenfassen:
- Dehnen erhöht die Flexibilität
- es fördert Durchblutung und Stoffwechsel der Muskulatur
- die Beweglichkeit von Gelenken, Sehnen und Bändern wird verbessert
- man erholt sich rascher
- das subjektive Wohlbefinden steigt, man fühlt sich ausgeglichener, oft „leichter“
- sanftes (!) Dehnen vor dem Laufen bereitet die Muskulatur auf die Belastung vor und
- reduziert das Verletzungsrisiko.
- Es beugt auch Haltungs- und Rückenschmerzen vor, da
- Dehnen Verspannungen und Muskelverkürzungen entgegenwirkt, und so
- muskuläre Dysbalance und Fehlhaltungen gar nicht aufkommen lässt

Klingt toll. Ist es auch. Doch daraus einheitliche, für alle Läuferinnen und Läufer gültige Regeln abzuleiten, wer wann wo und wie, wie oft und wie intensiv dehnen soll, geht leider nicht. Dafür sind wir dann doch zu verschieden.

Was du tun solltest – und was nicht

Was man aber sehr wohl kann: Über Basics und Grundsätze rund ums Dehnen reden. „Dos“ und „Don‘ts“erklären. Und Übungen so beschreiben, dass man sie richtig ausführt. Denn so wie beim Laufen zählen auch beim Dehnen Durchführung und Technik enorm.

Darum vorneweg eine kleine Warnung. Denn was auf alle Fälle falsch ist, lässt sich sehr wohl klar sagen: Ruckartiges, reißendes Dehnen – oder zu lange/zu tief in der Dehnung zu verharren. So kann man sich dann sogar beim Dehnen verletzten.

Die Grundregel lautet: Ein dosierbares Ziehen zu spüren, ist gut – aber echten Schmerz, egal ob Stechen oder Brennen, gilt es zu vermeiden. Hilfreich ist da die sogenannte S-H-E-S-Eselsbrücke:
- S tretch dich vorsichtig, bis du ein leichtes Ziehen im Muskel spürst
- H alte die Dehnung für 30 bis 45 Sekunden
- E entspann dich zwei Sekunden lang
- S tretch dich nochmal für 30 bis 45 Sekunden.

Die Besonderheiten des Stretchings vor und nach dem Laufen

Wichtig ist es auch, zu wissen, dass Dehnen vor und nach dem Laufen nicht gleich funktioniert. (Dehnen während des Laufens lassen wir hier außen vor. Es ist meist nur eine Verlegenheitshandlung an roten Ampeln.)

Beim Dehnen nach dem Laufen
- solltest du die einzelnen Dehnungen jeweils 30 bis 45 Sekunden halten und
- danach etwa zwei Sekunden Pause machen, bevor du
- dich bei der zweiten Wiederholung etwas stärker dehnst, als beim ersten Durchgang

Beim Dehnen vor dem Laufen
- solltest du die Dehnübungen maximal 15 Sekunden lang halten und
- deine Muskeln nur einmal dehnen

Statisches vs. dynamisches Dehnen

Dehnen kannst du deine Muskeln grundsätzlich auf zwei Arten: Statisch oder dynamisch

Der Unterschied ist leicht erklärt: Beim statischen Dehnen bringst du deinen Muskel in eine Dehnposition und hältst diese, bis der Dehnreiz – das Ziehen – schwächer wird. In der Regel passiert das nach 30, höchstens 45 Sekunden.

Beim dynamischen Dehnen bringst du deinen Muskel zunächst ebenfalls in eine Dehnposition. Doch statt die Position zu halten, federst du sanft immer tiefer in die Dehnung hinein. Aber Vorsicht: Bei dieser Dehnvariante läufst du Gefahr, die Übung nicht korrekt auszuführen. Der Muskel könnte überstreckt, eventuell gezerrt, werden.

Auch wenn beide Varianten ihren Zweck erfüllen, solltest du deshalb mit statischem Dehnen anfangen – mit mehr Erfahrung ist dann der Wechsel zum dynamischen Dehnen kein Problem.

Wann ist der beste Zeitpunkt: vor oder nach dem Laufen?

Ist es aber nun schlauer, wenn du dich vor oder nach dem Laufen dehnst? Die Antwort ist – wieder einmal – nicht eindeutig: Du kannst beides tun. Es kommt drauf an, was du erreichen willst.

Willst Du deine Muskulatur auf die bevorstehende Belastung vorbereiten, solltest du sie vor deinem Lauftraining gut aufwärmen – und kurz dehnen. Das gilt besonders vor Tempo-Einheiten oder Intervall-Trainings: Nach kurzem Einlaufen (15 min) dehnst du das Bein am besten von unten aufwärts und von vorne nach hinten. Also: untere Wade – obere Wade – vorderer Oberschenkel – hinterer Oberschenkel, und dann die Oberschenkelinnenseite.

Vor dem Laufen nicht zu lange stretchen

Der optimale Dehn-Impuls sollte vor einem Lauf maximal 15 Sekunden pro Muskelgruppe oder Region dauern. Der Grund dafür ist simpel: Dehnen nimmt Spannung aus der Muskulatur. Nach dem Laufen ist diese Verringerung des „Muskeltonusses“ genau das, was wir erreichen wollen. Doch Muskelspannung gibt dir neben Schnellkraft und Power auch Stabilität, also Sicherheit. Die brauchst du bei intensiven, schnellen oder „explosiv“ gelaufenen Belastungen besonders: Ein zu geringer Muskeltonus wird da zum Risiko und erhöht die Verletzungsgefahr.

Gerade im Wettkampf und bei kurzen, „knackigen“ Einheiten ist die hohe Grundspannung auch wichtig, damit der Muskel hohem Tempo standhalten kann: Aus diesem Grund solltest du sehr vorsichtig sein, wenn du dich vor Rennen dehnst.

Nach dem Training Spannung abbauen

Um deinen Muskeln aber nach dem Laufen die Entspannung zu gönnen, die sie nun verdienen, solltest du ihnen danach helfen, diese Spannung abzubauen. Während des Laufens hat sich der Muskel – vereinfacht gesagt – prall aufgepumpt. Seine hohe Grundspannung steigert deine Leistungsfähigkeit. Aber er ist nun verkürzt.

Mit ausführlichem Dehnen hilft du ihm jetzt, sich wieder in die Länge zu ziehen und lockerer zu werden. Ob Dehnen, wie oft gesagt wird, die Regeneration tatsächlich beschleunigt, ist immer noch umstritten. Wichtiger ist aber ohnehin dein Wohlbefinden: Wenn du dich durch gutes Dehnen rascher fit und erholt fühlst, hast du alles richtig gemacht.

Wann genau solltest du nach dem Laufen dehnen?

Auch in Hinblick auf die nächsten Läufe. Denn dass verspannte Muskeln Lauftechnik und Tempo beeinflussen, weiß, wer je mit Muskelkater oder kleinen Verletzung laufen war. Mit richtigem und regelmäßigem Stretching hilfst du dir aber selbst, Verspannungen und Fehlhaltungen gar nicht erst entstehen zu lassen. Außerdem sind verspannte Muskeln auch verletzungsanfällig: Noch ein Argument für gutes Dehnen nach dem Training.

Wann genau ist nun der ideale Zeitpunkt zum Dehnen nach dem Laufen? Realistischerweise gleich nach dem Training, in jedem Fall aber solange deine Muskeln noch warm sind. Idealerweise gehst du vorher duschen und ziehst dir trockene Kleidung an. Denn in nassgeschwitzten Klamotten verkühlt man sich rasch: Du solltest es auch von der Witterung abhängig machen, wann und ob du im Freien dehnst. Denn gut gedehnt schützt nicht vor Erkältungen.

Wer sich nicht dehnen sollte

Womit wir beim letzten Punkt wären: Manche Läuferinnen und Läufer sollten nämlich gar nicht dehnen. Solltest du keine Verkürzungen, Verspannungen oder Dysbalancen haben, wird dir Dehnen zwar nicht schaden, aber auch nicht nutzen. Es ist dann überflüssig und lockert auf, was nicht gelockert werden muss.

Wirklich problematisch kann Stretching werden, wenn du an sich „hypermobil“, also überbeweglich, bist. In diesem Fall verringert das Dehnen die ohnehin suboptimale Stabilität deines Bewegungsapparates und du wirst für Verletzungen anfälliger.

Und dann ist da noch etwas: Gönn deinem Körper immer die Erholung, die er braucht. Denn auch Dehnen ist eine Belastung. Nach intensiven, anstrengenden oder langen Läufen solltest du deshalb darauf verzichten: Dein Körper muss sich jetzt erstmal erholen. Sanftes Stretching und gutes Dehnen ist auch ein paar Stunden, vielleicht ja sogar eine ganze Nacht später, immer noch eine Wohltat.

Die wichtigsten Übungen für Läuferinnen und Läufer

Wir stellen dir hier die wichtigsten Dehnübungen vor. Alle sind exemplarisch für eine Beinseite beschrieben. Natürlich solltest du danach auch die andere Seite dehnen.

Ein man dehnt seine Waden nach dem Laufen, dehnen ist gut
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Wadenmuskulatur

Deine Waden wollen besonders gepflegt werden, deshalb gehören diese Übungen ins Repertoire jedes Läufers. Im kurzen Ausfallschritt stütze die Hände in die Hüften, dann verlagere das Gewicht auf das hintere Bein und beuge das Knie. Du spürst den Zug in der Wade und dehnst die Achillessehne und die untere Wadenmuskulatur.

Um die obere Wade zu dehnen, vergrößere den Ausfallschritt. Stütz dich mit den Händen an einem Geländer, einem Baum oder einer Wand ab. Streck das hintere Bein, und drück die Ferse auf den Boden, bis du die Dehnung spürst. Dein Gewicht ruht auf den Armen und dem hinteren Bein.

Ein Mann dehnt seine Oberschenkel nach dem Laufen, dehnen ist gut
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Oberschenkelvorderseite

Du dehnst die Oberschenkelvorderseite, indem du dich dich aufrecht hinstellst und mit der rechten Hand den rechten Fuß an der Fessel oder am Fußrücken fasst. Wenn es dir schwerfällt, die Balance zu halten, kannst du dich an einem Baum, einem Geländer oder einem Laufpartner abstützen. Zieh jetzt den Fuß in Richtung Gesäß. Wichtig: Bleib dabei aufrecht stehen, die Hüfte ist gestreckt, die Knie bleiben zusammen. Ein Hohlkreuz solltest Du vermeiden.

Ein Mann dehnt seine Oberschenkel nach dem Laufen, dehnen ist gut
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Oberschenkelrückseite

Leg deinen Fuß auf einen Stuhl, eine Bank oder eine ähnlich hohe Stufe – oder stelle ihn einfach ein Stück nach vorne. Strecke das Bein und beuge dich mit geradem Rücken so weit vor, bis du ein Ziehen in den Muskeln an der Rückseite des Oberschenkels spürst. Die Spannung halten.

Eine Frau dehnt ihren Po nach dem Laufen, dehnen ist gut
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Po

Deine Gesäßmuskulatur wird besonders beim Bergauflaufen stark beansprucht. Nach Läufen in Hügeln oder Bergen tut dieses Stretching besonders gut: Setze dich auf den Boden, das linke Bein ist gestreckt, das rechte wird so darüber geschlagen, dass der Fuß etwa auf Höhe des Knies steht. Mit dem linken Arm umschließe das linke Knie, die Hand ruht auf dem Oberschenkel. Drehe den Oberkörper leicht nach rechts und stütz dich mit dem rechten Arm nach hinten ab. Ziehe das Knie an Deine Brust, bis du die Dehnung auf der rechten Poseite spürst.

Eine Frau dehnt ihre Hüftbeuger nach dem Laufen, dehnen ist gut
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Hüftbeuger

Die Muskeln, die bei jedem Schritt deine Knie heben müssen, neigen zu Verkürzungen. Deshalb solltest du sie nach jedem Lauf in die Länge ziehen. Gehe in den Ausfallschritt, der vordere Fuß steht mit der kompletten Sohle auf dem Boden, das hintere Bein hat mit Fußspitze und Knie Bodenkontakt. Denk daran, deinen Oberkörper aufrecht zu halten. Verlagere dein Körpergewicht nach vorn aufs Knie, bis du die Dehnung in der Hüfte spürst. Wenn es unangenehm ist, in dieser Position auf dem Boden zu knien, kannst du die Übung auch durchführen, indem das Knie in der Luft ist und dein Körpergewicht vom vorderen Bein getragen wird.

Ein Mann dehnt seine Adduktoren nach dem Laufen, dehnen ist gut
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Adduktoren

Die Muskeln an der Innenseite der Oberschenkel lassen sich im seitlichen Ausfallschritt stretchen. Stell dich mit gegrätschten Beinen hin, die Füße etwas mehr als doppelt schulterbreit auseinander. Jetzt beuge das linke Bein, schieb das Knie über die Fußspitze und verlagere dein Gewicht auf das linke Bein. Das andere Bein bleibt gestreckt, und du spürst die Dehnung in den Adduktoren.